Historischer Weinbau im Rheingau

Ein Blick zurück als Chance für die Zukunft

Der Verein zur Förderung des Historischen Weinbaus im Rheingau beauftragt eine umfassende Studie zum Thema „Historischer Weinbau im Rheingau“ – Interessante Ergebnisse auch für die Stadt Oestrich-Winkel.

Urkundlich belegt prägt der Weinbau den Rheingau seit mehr als einem Jahrtausend, seine Ursprünge reichen wohl sogar bis in die Römerzeit zurück. Über viele Jahrhunderte hat der Weinbau seine wesentliche Rolle erhalten können, die Bedingungen unter denen er betrieben wird, verändern sich jedoch permanent. Der Entwicklungs- und Wandlungsprozess der Landschaft, sich ändernde ökonomische und soziokulturelle Rahmenbedingungen sowie die Eingriffe des Menschen und neue Technologien im Weinbau verstellen zunehmend den Blick auf die weinbauliche Historie, die den Rheingau im Wesentlichen zu dem gemacht hat was er heute ist.

An dieser Stelle setzt die Studie „Historischer Weinbau im Rheingau“ des Vereins zur Förderung des Historischen Weinbaus im Rheingau e.V. an. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass es sinnvoll scheint, sich auf die Zusammenhänge zwischen historischem Weinbau, Heimat- und Denkmalpflege, regionaler Identität und Landschaftsschutz zurückzubesinnen und die historischen Elemente des Weinbaus wieder mehr und neu erleb- und begreifbar zu machen.

Zu diesem Zweck erfasst die vom Hermann-Hoepke-Institut der Technischen Hochschule Bingen erarbeitete Studie wichtige Elemente der Weinhistorie, wie historische Weingüter, geschichtsträchtige Weinbauorte und -lagen, historische Weinfeste, das historische Wegenetz, historische Rebsorten und deren Anbau- und Ausbauverfahren und stellt sie in einem Konzept zusammen.

Die Rolle des Weinbaus in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Für die Stadt Oestrich-Winkel und ihre Ortsteile hat die Studie folgende Aspekte besonders hervorgehoben:

Mittelheim wird erstmals 1292 erwähnt, wobei bereits Weinberge genannt werden; Weinmärkte sind bereits von 1599 bis 1651 belegt; 1892 gründet sich ein Weinbauverein; 1902 Gründung eines Winzervereins und bis 1903 Erbauung von Kelleranlagen, 1905 Konkurs des Vereins wegen zu teurer Bauten.

Oestrich wird erstmals genannt 1174 als Hostrich; Erwähnung eines Jahrmarkts Mitte des 16. Jhd., heute als Dippemarkt bekannt; Oestricher Weinmarkt bis 1726; seit 1549 Oestricher Kran, zunächst Schiffskran später 1744 Landkran, Transport von Gütern (vor allem Weinfässer) und zurück Gebrauchswaren; kein Adel in Oestrich; 1988 existieren 79 Weinbaubetriebe; alte Weinbergmauern in den Weinbergen des damaligen Mittelheimer Klosters St. Ägidius/Kloster Gottesthal.

Schloss Reichartshausen (ehemals Reichartshäuser Hof): 1152 gegründet, 1163 cellaria Wirtschaftshof Kloster Eberbach, größter Weinstapel- und Warenumschlagplatz der Abtei, Neubau im 18. Jhd. auf altem Fundament, 1803 gehört das Domänengut dem Herzog von Nassau-Usingen, 1817 Kauf durch Graf Erwein von Schönborn und seitdem Schloss Reichartshausen, 1873 Verkauf an Gräfin Benckendorf ohne Weinberg Pfaffenberg, 1889 August Wilhelm (Weinhändler und Gutsbesitzer), Anfang des 20. Jhd. Firma Kahlbau, Berlin, 1938 Weinhandlung Horz, Winkel, 1970 Firma Fritz Werner, Geisenheim, seit 1980 European Business School.

Hallgarten wird erstmals 1112 genannt; Ausgangspunkt der Siedlung war der von Oestrich kommende Oestricher Weg/Zanger Straße, der zwischen Weg und Leimersbach gelegene Eberbacher Hof war eventuell Ausgangspunkt der Besiedlung, einer der ersten und nächstgelegenen Grangien (Gutshof) des Kloster Eberbach; 1211 Erwähnung zweier Höfe des Klosters sowie eigener Markt; zwischen Steinberg und Hallgarten gelegene Klosterweingärten wurden 1500 an 105 Pächter vergeben;

Bewohner waren Winzer und Landwirte; Adlige waren seit dem 14. Jhd. Greiffenclau, im 17. Jhd. Freiherren von der Leyen; größter Weinbergsbesitzer war Kloster Eberbach; 19. Jhd. größtes privates Weingut mit 40 Morgen von Familie Itzstein; 1898-1902 gab es drei Gründungen von Winzergenossenschaften: Vereinigte Weingutsbesitzer „die Engländer“, Winzergenossenschaft „die Buren“, Hallgartener Winzerverein „die Deutschen“, 1970/1989 Zusammenschluss der Winzergenossenschaften.

Winkel wird erstmals genannt 850 in den Fuldischen Annalen; Familie Reiffenclau, seit 1191 genannt, hatten Stammsitz und Ländereien, waren für den Weinmarkt im 15. Jhd. zuständig, ab spätestens Mitte des 13. Jhd. in Besitz des Grauen Hauses und später Bau der Turmburg (1330) und danach Errichtung von Schloss Vollrads; 1140-1563 hatte Kloster Johannisberg dort einen Hof mit Land und Kapelle, 1606-1626 ging die Kapelle inkl. Gebäuden und Weinbergen vom Mainzer Erzbischof an das Mainzer Jesuitenkolleg, nach Auflösung des Jesuitenordens verfielen die Kapelle und Gebäude langsam.

Schloss Vollrads wird ab 1649 als reines Weingut betrieben und ist stark an der Entwicklung des Rheingauer Weinbaus beteiligt (Rodung von Kulturland zur Erweiterung der Weinanbaufläche im 17. Jhd., Verbesserung der Kellerpflege im 18. Jhd.); erste genannte Weinbergslage 1412 ist der Greiffenberg.

Weinhistorische Besonderheiten in der Stadt Oestrich-Winkel

Zu den weinhistorische Kulturdenkmäler zählen Gebäude und Einrichtungen, die für die Weinproduktion, den Weinhandel oder die Weinlagerung von Bedeutung waren oder auch Höfe mit eigenen Kelterhallen und Häuser von Rheingauer Weinbaufamilien. In Oestrich-Winkel zählen dazu:

  • das ehemalige Itzstein'sches Gutshaus (frühes 18. Jhd. Besitz der Mainzer Kaufmannsfamilie Hardy, ab 1736 Mainzer Hofgerichtsrat Johannes Franziskus Itzstein (Weingut mit 40 Morgen), seit 1995 Wohngebäude),
  • die ehemalige Zehntscheune (um 1500 entstanden Scheune vermutlich ehem. Zehntscheune des Viktorstiftes),
  • der ehemalige Sonnenhof (im 18. Jahrhundert erbaut als Landsitz der Frankfurter Kaufmannsfamilie Berna, später Weingut Dr. Mühlens-Berna, 1967 bis 1990 Hotel Sonnenhof),
  • Oestricher Kran (1549 erstmals erwähnt als Schiffskran, ab 1744 Landkran, Kranbetrieb bis 1924),
  • Schloss Reichartshausen (1125 erbaut, 1163  cellaria genannter
  • Wirtschaftshof von Kloster Eberbach (großer Weinstapel- und Warenumschlagplatz), 1737 bis 1740 Abriss mit anschließendem Neubau auf altem Fundament durch Abt Hermann Hungrichhausen, 1803 an Herzog von Nassau-Usingen mit zahlreichen folgenden Besitzern unter anderem Graf Erwein von Schönborn und Weinhändler August Wilhelmj, heute European Business School (EBS),
  • Lenchenhaus, (Ende 18 Jhd. erbaut, im 19. Jhd. Weingut des
  • Oestricher Bürgermeisters Josef Schneider),
  • Graues Haus (mit Graugarten genannter Weingarten / Wohnsitz der Herren von Winkel genannte Greiffenclau, 16./17. Jhd. Witwensitz der Familie Greiffenclau),
  • Johannsiberger Klause (1285 erstmals genannt als ehemalige Benediktinerinnenklause St. Georg, 1452 Kloster aufgehoben und nach Niedergang 1603 Erwerb durch Grafen von Schönborn),
  • Probeck'scher Hof (16. Jhd. erbaut, Wirtschafts- und Nebengebäude
  • des ehem. Probeck'schen Hofes mit ehemaliger Kelterhalle).

Die „Weinbaukarte des Nassauischen Rheingau’s“, die älteste Weinlagenkarte des Rheingaus, zeigt die Weinbergslagen des 19. Jahrhunderts. In Oestrich-Winkel sind dies Schönhell (Hallgarten), Eisenberg (Oestrich) sowie Johannisbergerberg, Hasensprung, Dachsberg und Opferberg in Winkel.

Eine Liste der historischen Rebsorten des Rheingaus enthält 16 Positionen. DNA-Analysen heutiger Rebsorten ergaben, dass die meisten von ihnen auf die drei Elternsorten Heunisch, Traminer und Pinot (Burgunder) und deren Abkömmlinge zurückzuführen sind, welche vermutlich auch im Mittelalter angebaut wurden. Die Rebsorte Riesling wurde neben anderen erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt.

Historische Rebsorten und Anbauformen als zusätzliche Vermarktungschance

Zu den historischen Rebsorten wird auch der Rote Riesling gezählt. Er ist eine sich insbesondere in der Traubenfarbe vom Weißen Riesling unterscheidende Rebsorte. Derzeitig ist die Rebsorte nur in Hessen und Sachsen-Anhalt klassifiziert. Der Rote Riesling ist durch eine Mutation aus dem Weißen Riesling entstanden. Der Gelbe Orleans, vermutlich aus Frankreich stammend, ist eine für den Rheingau typische und früher weitverbreitete Rebsorte. Sie ist spätreifend und bringt einen hohen Ertrag, bei einem gleichzeitig relativ niedrigem Mostgewicht sowie hohem Säuregehalt und weist eine sehr gute Frostfestigkeit auf.

Der Gemischte Satz oder Mischsatz ist eine historische Anbauform, bei der verschiedene Rebsorten nicht sortenrein, wie heute üblich, sondern zu mehreren durchmischt im Weinberg angebaut und zum gleichen Zeitpunkt gelesen werden. Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte man eine Qualitätssteigerung und damit den ökonomischen Nutzen durch sortenreinen Anbau, besonders des Rieslings, wodurch die bis dahin häufigen Sorten, wie Elbling und Heunisch verdrängt wurden. Der sortenreine Anbau hat sich dann etabliert, so dass der Anbau im Gemischten Satz langsam verschwand. 

Zahlreiche Weinbaubetriebe im Rheingau zeigen sich dem Anbau von historischen Rebsorten gegenüber aufgeschlossen. Mehrere Weingüter aus Oestrich-Winkel zählen dabei zu den Pionieren, so das Weingut Josef Schönleber beim Gelben Orleans und beim Roten Riesling die Weingüter Fritz Allendorf, Dr. Corvers-Kauter, Prinz sowie Hermann Josef Stettler & Sohn.

In den andere Städten und Gemeinden des Rheingaus ergibt sich ähnlich umfassendes Bild. Daher hat die Studie auch Kenner des Rheingaus mit der Vielfalt seiner Gesamtschau überrascht. Gemeinsam mit den Kommunen, dem Zweckverband, dem Weinbauverband und den hauptsächlichen Förderern wird der Verein zur Förderung des Historischen Weinbaus jetzt ein detaillierteres Konzept erarbeiten, das

zeitgemäß dazu beitragen kann, das Profil der Weinbauregion Rheingau insgesamt attraktiver zu gestalten und die touristischen Angebote zu erweitern.